Verdacht auf neurologische Toxizität nach oraler Verabreichung von Fluralaner (Bravecto®) bei einem Kooikerhondje-Hund

Fluralaner ist ein starkes Akarizid und Insektizid aus der Arzneimittelklasse der Isoxazoline. Eine einzige Dosis von Bravecto®, die Hunden oral verabreicht wird, sorgt für eine mindestens zwölfwöchige Floh- und Zeckenbekämpfung. Diese verlängerte Wirkung des Wirkstoffs lässt sich durch seine pharmakokinetischen Eigenschaften erklären. Der Wirkstoff wird nach einmaliger oraler Verabreichung leicht absorbiert und erreicht die Cmax innerhalb eines Tages; er weist eine lange Halbwertszeit, eine lange mittlere Verweilzeit, ein relativ hohes scheinbares Verteilungsvolumen und eine geringe Clearance bei enterohepatischer Rezirkulation auf.

Fluralaner hemmt Glutamat-gesteuerte Chloridkanäle (GluCls) und GABA-gesteuerte Chloridkanäle (GABACls) von Arthropoden, die strukturell zur Klasse der so genannten Cys-Schleifenrezeptoren gehören. Cys-Loop-Rezeptoren von Arthropoden werden von vielen verschiedenen Antiparasitika angegriffen, darunter Fipronil, Ivermectin und Fluralaner . Einzelne Experimente an Stubenfliegenkopf- und Rattenhirnmembranen sowie an rekombinant exprimierten Einzelrezeptoren deuten auf eine deutlich geringere Bindungsaffinität von Fluralaner an Wirbeltierrezeptoren im Vergleich zu Arthropodenrezeptoren hin. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass Fluralaner in vivo auch mit einem der Cys-Schleifen-Rezeptoren von Wirbeltieren interagiert, die in hohem Maße oder sogar ausschließlich im zentralen Nervensystem exprimiert werden. Auf der Grundlage der molekularen Pharmakologie von Fluralaner muss diskutiert werden, ob die neurologische Dysfunktion, die im vorliegenden Fall beim Kooikerhondje-Hund beobachtet wurde, möglicherweise auf die Blockierung eines dieser Rezeptoren zurückzuführen ist, was das Auftreten von generalisierter Ataxie, myoklonischen Zuckungen, Tremor von Kopf und Körper, Muskelzuckungen und oraler Dysphagie erklären würde. Bemerkenswert ist, dass das Auftreten der neurologischen Funktionsstörungen genau zum Zeitpunkt der erwarteten Cmax von Fluralaner bei Hunden berichtet wurde.

Da Fluralaner jedoch ein allgemein gutes Sicherheitsprofil aufweist und neurologische Nebenwirkungen nur in sehr seltenen Fällen auftreten, könnten einzelne Faktoren, die die Arzneimittelkonzentration im Gehirn erhöhen oder die Empfindlichkeit der ZNS-Cys-Rezeptoren steigern, eine Rolle spielen. Derzeit sind jedoch nur wenige Faktoren bekannt, die das pharmakokinetische Profil und die Hirnpenetration von Fluralaner beeinflussen. Einer davon ist ein Defekt des Multidrug Resistance (MDR1) Drug Efflux Carriers an der Blut-Hirn-Schranke (allgemein als MDR1 nt230(del4) bezeichnet), der häufig bei Collie, Australian Shepherd, Shetland Sheepdog, Langhaar-Whippet, Weißem Schweizer Schäferhund und einigen anderen Rassen vorkommt und zu einem verstärkten Eindringen des Medikaments in das Gehirn führt. Dies kann bei Hunden mit MDR1-Mutation selbst bei normaler Dosierung zu neurologischer Toxizität führen, wie dies für Medikamente wie Ivermectin bekannt ist. Kürzlich wurde in einem MDR1-mutierten Mausmodell eine signifikant erhöhte Hirnpenetration von Fluralaner nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass der MDR1-vermittelte Arzneimittelefflux normalerweise den Eintritt von Fluralaner in das Gehirn verhindert. Obwohl bei dieser Rasse nicht vermutet wird, dass sie Träger dieser Genmutation ist, wurde beim Kooikerhondje-Hund eine MDR1-Genotypisierung durchgeführt, die einen intakten MDR1-Genotyp MDR1+/+ ergab, so dass im vorliegenden Fall eine erhöhte Fluralaner-Penetration ins Gehirn aufgrund der MDR1-Mutation nt230(del4) ausgeschlossen ist. Dennoch kann das Auftreten anderer Mutationen im MDR1-Gen oder verwandter Arzneimittel-Efflux-Carrier an der Blut-Hirn-Schranke nicht ausgeschlossen werden. Außerdem könnte die Prämedikation des Hundes mit Milbemycinoxim plus Praziquantel einen Monat vor der Bravecto®-Behandlung die Hirnpenetration von Fluralaner erhöht haben, z. B. durch Hemmung des MDR1-vermittelten Fluralaner-Effluxes durch die Prämedikation über eine Arzneimittelwechselwirkung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Fluralaner sicher ist, wenn es gleichzeitig mit Milbemycinoxim + Praziquantel verabreicht wird.

Darüber hinaus könnte eine Kombination verschiedener individueller Faktoren die Bioverfügbarkeit, Pharmakokinetik und Hirnpenetration von Fluralaner beim Kooikerhondje-Hund beeinflusst und somit die neurologischen Störungen hervorgerufen haben. Dazu könnten die interindividuelle Variabilität des gastrointestinalen pH-Wertes, die Zeit der Magenentleerung, die Dauer der Darmpassage, die Plasmaproteinbindung sowie Alter und Geschlecht des Tieres gehören. Darüber hinaus könnten rassebedingte Unterschiede in der Körperkonstitution eine Rolle für die Sicherheitsmarge von Arzneimitteln spielen. In Zulassungsstudien zur Wirksamkeit von Fluralaner wurden jedoch verschiedene Hunderassen und Mischlinge einbezogen, und es wurden keine offensichtlichen Unterschiede in der Arzneimittelsicherheit zwischen den Rassen festgestellt.

Ein weiterer Faktor, der die Pharmakokinetik von Fluralaner beeinflussen könnte, ist der prandiale Zustand des Hundes zum Zeitpunkt der Verabreichung des Arzneimittels, da bekannt ist, dass die Fütterung die Magen-Darm-Physiologie beeinflusst und dadurch die Arzneimittelabsorption und Bioverfügbarkeit beeinträchtigen kann. Eine Studie, die den Einfluss der gleichzeitigen Fütterung auf die Pharmakokinetik von Fluralaner untersuchte, ergab, dass es keine dramatischen Unterschiede zwischen nüchternen und gefütterten Hunden gab, dass aber das Futter die Bioverfügbarkeit von Fluralaner aus den Bravecto®-Kautabletten signifikant erhöhte. Da der Hersteller empfiehlt, Bravecto® bei oder um die Fütterung herum zu verabreichen, wie dies bei dem Hund von Kooikerhondje geschehen ist, wird angenommen, dass die Fütterung im vorliegenden Fall eine untergeordnete Rolle spielte.

Anzumerken ist, dass die neurologischen Symptome bei dem Hund von Kooikerhondje vorübergehend waren und sich ohne jegliche Behandlung zurückbildeten. Dies könnte durch erhöhte Arzneimittelspiegel im Gehirn um die Fluralaner-Plasma-Tmax herum erklärt werden, die bei Beagle-Hunden nach Verabreichung von Bravecto® im Durchschnitt innerhalb eines Tages erreicht wird. In diesem Fall könnten die Verbesserung des Zustands des Hundes und das Verschwinden der neurologischen Funktionsstörung einfach durch die Eliminierung des Arzneimittels und den Rückgang der relevanten Arzneimittelkonzentration im Gehirn erklärt werden. Daher war im vorliegenden Fall keine besondere Behandlung erforderlich und kann nicht empfohlen werden, solange die molekularen Mechanismen hinter den beobachteten Anzeichen neurologischer Toxizität bei Hunden nicht besser verstanden sind. Auf der Grundlage des vermuteten Mechanismus der Blockierung von Cys-Rezeptoren könnten GABAA-Rezeptor-Agonisten wie Benzodiazepine oder Propofol eine Behandlungsoption sein, aber bisher gibt es keinerlei klinische Erfahrungen damit. Außerdem könnte die Verabreichung einer intravenösen Fettemulsion (ILE) hilfreich sein. Diese Behandlung wurde früher bei Vergiftungen mit lipophilen Arzneimitteln, wie z. B. Ivermectin bei Hunden, angewandt. Um die enterohepatische Rezirkulation von Fluralaner zu verhindern, könnte auch die Verabreichung von Aktivkohle sinnvoll sein. Insgesamt wird je nach Schweregrad der neurologischen Nebenwirkungen und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten eine symptomatische Behandlung und unterstützende Pflege empfohlen, wie sie im vorliegenden Fall durchgeführt wurde.

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