Von Nuno Ferreira und Denise Venturi
Ungarn steht wieder im Rampenlicht
Ungarn steht seit geraumer Zeit aus den falschen Gründen im Rampenlicht. Von Gesetzen gegen „ausländisch betriebene Universitäten“ bis hin zu Grenzmauern, die Flüchtlinge daran hindern sollen, ungarisches Territorium zu betreten, hat die rechtspopulistische Regierung von Viktor Orban in vielen Teilen der ungarischen Gesellschaft und in den europäischen Institutionen Empörung ausgelöst. Der jüngste Grund für die Beunruhigung bezieht sich erneut auf das Thema Migration und Flüchtlinge, ein Bereich, in dem die ungarischen Behörden weithin kritisiert werden. Aufbauend auf einer äußerst feindseligen Politik gegenüber Flüchtlingen, die sowohl vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gerügt wurde, beabsichtigen die ungarischen Behörden nun, auf äußerst zweifelhafte Mittel zurückzugreifen, um die Anträge von Personen zu prüfen, die aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung Asyl beantragen. Es war bereits öffentlich bekannt, dass diese Kategorie von Antragstellern von den ungarischen Behörden schlecht behandelt wurde, aber die jüngsten Ereignisse deuten darauf hin, dass die Behörden einen neuen Tiefpunkt erreicht haben.
Der jüngste Vorfall wurde der Öffentlichkeit durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH durch das ungarische Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szeged am 29. August 2016 in der Rechtssache C-473/16, F gegen Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (der „Fall F“) bekannt. Die Rechtssache betrifft einen nigerianischen Staatsangehörigen, der aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung einen Antrag auf internationalen Schutz in Ungarn gestellt hatte, und befasste sich mit der Verwendung von projektiven Persönlichkeitstests und anderen Mitteln zum „Nachweis“ der Sexualität. Das ungarische Gericht legte dem EuGH zwei Fragen vor, in denen es im Wesentlichen darum ging, ob die Anwendung von Artikel 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates im Lichte von Artikel 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Charta) es ausschließt, dass gerichtspsychologische Gutachten, die auf projektiven Persönlichkeitstests beruhen, bei der Asylentscheidung über LGBTI-Antragsteller (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle) verwendet werden. Sollte diese Möglichkeit ausgeschlossen sein, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Asylbehörden daran gehindert sind, den Wahrheitsgehalt dieser Anträge mit Hilfe von Sachverständigen zu prüfen.
Die Fragen beziehen sich somit auf die Auslegung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2004/83/EG des Rates. Der in der dem EuGH vorgelegten Rechtssache zu prüfende Sachverhalt hat sich jedoch im April 2015 ereignet, so dass das auf den Sachverhalt anwendbare und in dieser Rechtssache auszulegende Recht die Nachfolgerichtlinie der Richtlinie 2004/83/EG des Rates – die Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (neugefasste Qualifikationsrichtlinie) – ist, die seit dem 22. Dezember 2013 in Kraft ist.
Nach der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2017 hat Generalanwalt Wahl seine Schlussanträge am 5. Oktober 2017 vorgelegt. Der Schwerpunkt unserer Analyse wird auf diesen Schlussanträgen liegen, aber zunächst ist es wichtig, an die Rechtsprechung zu erinnern, die der EuGH bereits zu Asylanträgen wegen sexueller Ausrichtung und Geschlechtsidentität (SOGI) vorgelegt hat. Dies ist in der Tat der dritte Fall, mit dem sich der EuGH mit SOGI-bezogenen Asylanträgen befasst hat, und wir erwarten, dass dieser dritte Fall internationale Standards besser widerspiegelt als die beiden vorangegangenen, insbesondere im Lichte der EU-Charta und der UNHCR-Richtlinie Nr. 9.
Third time lucky?
Der EuGH hat sich in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12, X, Y und Z gegen Minister voor Immigratie en Asiel, erstmals mit Asylanträgen im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität (SOGI) befasst. Trotz einiger Unzulänglichkeiten wurde in dieser Entscheidung ausdrücklich anerkannt, dass eine Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu einem Flüchtlingsstatus gemäß dem Grund „besondere soziale Gruppe“ der Flüchtlingskonvention von 1951 führen kann. Ein Jahr nach X, Y und Z wurde der EuGH jedoch aufgefordert, in einer anderen Rechtssache, in der es um drei schwule Männer ging, die aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung Asyl beantragten und als nicht glaubwürdig eingestuft wurden (verbundene Rechtssachen C-148/13 bis C-150/13, A, B und C/Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, 2. Dezember 2014), Leitlinien zu den Beweisstandards für SOGI-Asylanträge vorzulegen. Der EuGH wurde gefragt, ob die Charta, insbesondere die Artikel 3 (Recht auf Unversehrtheit der Person) und 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens), sowie Artikel 4 der neugefassten Anerkennungsrichtlinie den nationalen Behörden bei der Überprüfung der sexuellen Ausrichtung eines Asylbewerbers bestimmte Grenzen setzen.
Dieses Urteil ist wichtig, da es einige Grundprinzipien für die Bewertung der Glaubwürdigkeit und der Beweise aufstellt; allerdings hätte der Gerichtshof in dieser Hinsicht positivere Hinweise geben können. Zunächst stellte der EuGH fest, dass die bloßen Erklärungen der Antragsteller zwar nicht per se ausreichen, um ihre sexuelle Ausrichtung nachzuweisen, dass die Behörden aber bei der Beurteilung eines SOGI-Asylantrags an bestimmte Grenzen gebunden sind. Insbesondere muss eine solche Beurteilung auf individueller Basis erfolgen und darf nicht nur auf Stereotypen beruhen, was ein Fehler ist, der von Entscheidungsträgern in SOGI-Fällen allzu oft begangen wird. Nichtsdestotrotz hat der EuGH die Verwendung stereotyper Vorstellungen nicht vollständig verworfen, sondern sie als nützliches Element bei der Gesamtbewertung angesehen. Was die Beweismittel anbelangt, so schloss der Gerichtshof den Rückgriff auf detaillierte Fragen zu sexuellen Praktiken und auf „Tests zur Feststellung der sexuellen Ausrichtung des Antragstellers im Lichte der Artikel 1 (Menschenwürde) und 7 der EU-Charta“ aus. Er verbot auch die Vorlage von Filmen, die die Beteiligung des Antragstellers an gleichgeschlechtlichen Aktivitäten zeigen. Schließlich bestätigte der EuGH auch, dass die späte Offenlegung der sexuellen Ausrichtung eines Antragstellers als Hauptgrund für den Asylantrag nicht per se die Glaubwürdigkeit des Antragstellers beeinträchtigt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gerichtshof eine „schwarze Liste“ dessen erstellt hat, was die Behörden nicht tun dürfen, aber keine klaren Leitlinien für die Beurteilung von SOGI-Asylanträgen vorgibt, die sie tun sollten. Insbesondere stellte der Gerichtshof klar, dass für Beweise, die ihrer Natur nach die Menschenwürde verletzen und keine Beweiskraft haben, kein Platz ist. Dieses Verbot, so argumentierte der Gerichtshof, kann nicht umgangen werden, selbst wenn der Antragsteller solche Beweise vorlegen möchte, da dies andere Antragsteller dazu veranlassen würde, dasselbe zu tun, wodurch eine faktische Verpflichtung entstünde. Während das Urteil des Gerichtshofs in den Rechtssachen X, Y und Z die Möglichkeit der Anerkennung von SOGI-Bewerbern als Flüchtlinge in vollem Umfang festschreibt, bilden die Feststellungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen A, B und C den Hintergrund, vor dem die Rechtssache F letztlich entschieden wird.
‚Sag mir, was du siehst… ist es schwul genug?‘
Die Rechtssache F hat die in SOGI-Asylfällen anzuwendenden Beweisstandards wieder auf die Tagesordnung des EuGH gesetzt. In diesem Zusammenhang wurden im Laufe der Jahre mehrere umstrittene Praktiken kritisiert, von der Verwendung stereotyper Befragungen bis hin zum Rückgriff der Behörden auf Praktiken ohne medizinischen oder psychologischen Wert wie die Phallometrie, bei der die Reaktionen schwuler männlicher Asylbewerber auf das Anschauen von Pornografie auf ihre sexuellen Präferenzen schließen lassen sollten. Obwohl derartige Praktiken sowohl vom UNHCR als auch von Nichtregierungsorganisationen stark kritisiert wurden, macht der Fall F deutlich, dass sie in unterschiedlicher Form fortbestehen.
Die konkreten Tests, um die es in diesem Fall geht, sind der „Draw-a-Person-in-the-Rain“-Test, der Rorschach-Test und der Szondi-Test. Mit solchen projektiven, zeichnerischen Tests wird versucht, Informationen zu erlangen, die „Patienten“ auf andere Weise nur schwer oder gar nicht verbalisieren können, und die Psychologen dabei unterstützen, sich ein Bild von der Persönlichkeit, dem emotionalen Wohlbefinden und der psychischen Gesundheit des Einzelnen zu machen. Diese Instrumente sind im Allgemeinen umstritten, auch wenn sie von Psychologen in den meisten Ländern weiterhin routinemäßig eingesetzt werden. Ihre Verwendung zur Bestimmung der Sexualität einer Person ist grundsätzlich verabscheuungswürdig und wird daher in der einschlägigen Literatur oder von seriösen Fachleuten einfach nicht berücksichtigt.
AG Wahl erkennt an, wie wissenschaftlich diskreditiert solche Tests in Bezug auf Fragen der sexuellen Orientierung sind, und zitiert einen Bericht der American Psychological Association aus dem Jahr 2009. Die Frage, ob jemand schwul ist oder nicht, ist an sich schon schlecht formuliert, da die sexuelle Orientierung irgendwo auf einem komplexen Kontinuum liegen und sich im Laufe der Zeit ändern kann. Versuche, die Sexualität einer Person objektiv zu bestimmen, wurden stets als „Junk Science“ bezeichnet, da sie sich auf unbegründete Stereotypen stützen. Wie Weber im Zusammenhang mit den jüngsten Debatten über den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zur Bestimmung der Sexualität anhand des Gesichts einer Person zu Recht festgestellt hat, handelt es sich bei solchen pseudowissenschaftlichen Bestrebungen um Versuche, den Menschen eine einheitliche Sichtweise aufzuzwingen, wobei verkannt wird, dass es sich bei „homosexuell“ und „heterosexuell“ um historisch konstruierte Figuren handelt. Weber befürchtet, dass diese Art von AI-„Junk Science“ im Westen im Zusammenhang mit SOGI-Asyl verwendet wird.
Die fraglichen Tests in der Rechtssache F gehen davon aus, dass Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung bestimmte Persönlichkeitsmerkmale haben, was nicht nur offenkundig falsch ist, sondern auch gegen das Verbot stereotyper Entscheidungsfindung verstößt, das in den Urteilen A, B und C festgelegt ist. Das Argument lautete: Da das Urteil Fragen nach der sexuellen Ausrichtung der Antragsteller ausschloss, mussten die Behörden auf Tests zurückgreifen. Das Problem mit dieser Behauptung ist, dass sie auf einer falschen Prämisse beruht: Das Urteil in A, B und C hat die Behörden nicht daran gehindert, Fragen über die sexuelle Ausrichtung der Antragsteller zu stellen, sondern lediglich bestimmte Fragen und Praktiken ausgeschlossen, die eindeutig die Würde des Einzelnen verletzen.
Obwohl sowohl die Kommission als auch die ungarischen Behörden in der mündlichen Anhörung vorbrachten, dass diese Tests zulässig sein sollten, weil sie nur ein Element der Gesamtbeurteilung des Asylantrags darstellen und zur Bestätigung der Glaubwürdigkeit des Antragstellers führen können, geschah in diesem Fall genau das Gegenteil. Tatsächlich wurde der Test von den ungarischen Behörden dazu benutzt, die Darstellung des Antragstellers zu diskreditieren und ihm internationalen Schutz zu verweigern (Rdnr. 10-11 der Schlussanträge). Mit anderen Worten, es wurde ein „wissenschaftlicher“ Ansatz zur Entscheidungsfindung verwendet, um zu verhindern, dass der Antragsteller als Flüchtling anerkannt wird. Leider sind die Schlussanträge des Generalanwalts weit davon entfernt, solche Tests auszuschließen.
Die Schlussanträge des Generalanwalts
In seinen Schlussanträgen stellt Generalanwalt Wahl diesen Fall zu Recht als einen Fall dar, in dem es ganz klar um die Verwendung von psychologischen Gutachten zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Antragstellern geht. Die Bestimmung, die im Mittelpunkt dieser Debatte steht – so wie sie in den Vorlagefragen umrissen wird – ist Artikel 4 Absatz 5 der neugefassten Anerkennungsrichtlinie, der Antragsteller von der Notwendigkeit entbindet, ihre Asylanträge durch Urkunden oder andere Beweismittel zu belegen, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt ist, darunter, dass die Antragsteller sich ernsthaft bemüht haben, ihre Anträge zu belegen, dass sie eine zufriedenstellende Erklärung für das Fehlen weiterer Beweise gegeben haben und dass sie insgesamt eine glaubwürdige Darstellung vorgelegt haben. Unter Berufung auf diese Bestimmung machte der Antragsteller in der mündlichen Anhörung deutlich, dass in seinem Fall keine weiteren Prüfungen erforderlich seien, da es keine Ungereimtheiten gebe. Die ungarischen Behörden entgegneten, dass es Widersprüche in der Aussage des Klägers gebe (ohne genau zu spezifizieren, welche Widersprüche), so dass es notwendig sei, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Ein anderes EU-Rechtsinstrument spielt in diesem Gutachten eine wichtigere Rolle, nämlich die Richtlinie 2013/32/EU (die neugefasste Asylverfahrensrichtlinie). Die Anerkennungsrichtlinie legt zwar die allgemeinen Regeln fest, die in Bezug auf die Beweisstandards in Asylfällen zu befolgen sind, insbesondere Artikel 4, aber es ist Artikel 10 Absatz 3 der Asylverfahrensrichtlinie, der bestimmt, dass die Asylbehörden der Mitgliedstaaten individuelle, objektive und unparteiische Entscheidungen treffen sollten und dass sie die Möglichkeit haben, sich bei ihrer Entscheidungsfindung von Experten beraten zu lassen. Auf dieser Grundlage geht AG Wahl auf die Vorteile der Einbeziehung von Psychologen in den Entscheidungsprozess ein (Rn. 33-34), ist sich aber auch darüber im Klaren, dass ein Psychologe die sexuelle Ausrichtung eines Antragstellers nicht anhand von Persönlichkeitstests bestimmen kann (Rn. 36). Dennoch analysiert das AG Wahl weiter, unter welchen Umständen solche Tests dennoch zugelassen werden können und akzeptiert sie damit faktisch.
AG Wahl versucht, die Zulässigkeit der fraglichen Tests abzumildern, indem er darauf hinweist, dass eine Einwilligung erforderlich ist und dass die Tests in einer Weise durchgeführt werden müssen, die mit den Rechten auf Würde und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 1 und 7 der EU-Charta und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) vereinbar ist. Obwohl AG Wahl die Schwierigkeiten bei der Verweigerung der Zustimmung im Rahmen eines Asylantrags ausdrücklich anerkennt, scheint er es nicht als problematisch zu betrachten, dass – nach seinen eigenen Worten und in einer wahrscheinlichen Verletzung der Rechte des Antragstellers nach EU-Recht – „die Verweigerung des Antragstellers bestimmte Folgen haben kann, die der Antragsteller selbst zu tragen hat“ (Abs. 45). Mit anderen Worten, die Verweigerung eines Tests ohne Beweiskraft, der die Rechte des Antragstellers verletzen könnte, kann zur Ablehnung seines Asylantrags führen – ein höchst unverhältnismäßiges und ungerechtes Ergebnis, würden wir argumentieren.
Die Schlussanträge schränken die Zulässigkeit solcher Tests weiter ein, indem sie die Beweiskraft von Untersuchungen in Frage stellen, die auf zweifelhafter Wissenschaft beruhen oder im falschen Kontext verwendet werden (Rdnr. 48). Dennoch räumt die AG Wahl den nationalen Gerichten in dieser Hinsicht einen weiten Ermessensspielraum ein, indem sie erklärt, dass es nicht Sache des EuGH ist, solche Tests zu bewerten. Nachdem wir gesehen haben, wie die fraglichen Tests bei einem schwulen männlichen Asylbewerber angewandt wurden, um ihm das Asyl zu verweigern, ist es offensichtlich unklug, den nationalen Behörden einen solchen Spielraum in Asylfällen im Zusammenhang mit der sexuellen Ausrichtung einzuräumen. Die Tatsache, dass das AG Wahl auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Artikel 47 der EU-Charta) und auf die Freiheit der innerstaatlichen Gerichte verweist, von den „Feststellungen des Sachverständigen“ abzuweichen (Abs. 50), könnte ein impliziter Hinweis darauf sein, dass das innerstaatliche Gericht in diesem Fall von den Stellungnahmen der Sachverständigen abweichen und sich frei fühlen sollte, dem Antragsteller Asyl zu gewähren. Dies ist jedoch eindeutig unzureichend, um die berechtigten Bedenken von Asylbewerbern in ähnlichen Situationen zu zerstreuen, da sie der Gnade von (Verwaltungs- und Gerichts-) Behörden ausgeliefert sind, die „Junk-Wissenschaft“, die ihren Asylanträgen abträglich ist, gerne als beweiskräftig ansehen.
Die Stellungnahme des Generalanwalts Wahl, in der er die Anwendung projektiver Persönlichkeitstests in Fällen, in denen es um Asylanträge aufgrund der sexuellen Ausrichtung geht, grundsätzlich akzeptiert, ist äußerst beunruhigend. Einerseits bezweifelt er eindeutig die Nützlichkeit oder Angemessenheit solcher Tests (und verweist sogar auf Grundsatz 18 der Yogyakarta-Prinzipien zum Schutz von Personen vor medizinischem Missbrauch aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität), und er weist die nationalen Gerichte auf die Möglichkeit hin, sie zu missachten, selbst wenn sie durchgeführt werden. Andererseits empfiehlt er, solche Tests zuzulassen (wenn auch mit einer Reihe von vermeintlich hilfreichen Vorbehalten), und überlässt damit die Antragsteller der Gnade potenziell unsympathischer nationaler Behörden. Ebenso beunruhigend ist die Tatsache, dass in den Schlussanträgen des Generalanwalts nirgends auf den Grundsatz des Vorteils des Zweifels Bezug genommen wird: Auch wenn es in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unbedingt notwendig ist, auf diesen Grundsatz zu verweisen, ist sein Fehlen auffällig, da ein wesentliches Element der Beweisstandards im Flüchtlingsrecht außer Acht gelassen wird (Ziffern 203-204 des UNHCR-Handbuchs und der Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus). Der Schwerpunkt des Gutachtens hätte auf der Art der Befragung liegen müssen, wie sie nach der UNHCR-Richtlinie Nr. 9 hätte erfolgen müssen.
Die Schlussanträge in diesem Fall hätten viel einfacher behaupten können, wie AG Sharpston in ihren Schlussanträgen in den Rechtssachen A, B und C (denen der EuGH weitgehend gefolgt ist), dass „medizinische Tests nicht zur Feststellung der Glaubwürdigkeit eines Antragstellers verwendet werden können, da sie gegen Artikel 3 und 7 der Charta verstoßen“ (Rdnr. 61), und dass die Zustimmung der Antragsteller sowohl im Wesentlichen irrelevant als auch fragwürdig ist (Rdnr. 67). Stattdessen bietet AG Wahl dem EuGH eine schlechte Anleitung.
‚Projektion‘ dieser Stellungnahme auf das Urteil des EuGH
Im Fall F wird der EuGH aufgefordert sein, das EU-Recht im Hinblick auf die Beweiswürdigung von SOGI-Asylfällen gezielter auszulegen, als er es in den Fällen A, B und C getan hat. Eine Vorhersage des Urteils des Gerichtshofs sollte vermieden werden; die Relevanz der Fragen, um die es in der Rechtssache F geht, erlaubt es uns jedoch, einige mögliche Szenarien in Betracht zu ziehen. Erstens hat der EuGH die Möglichkeit, auf seinem Ansatz in den Rechtssachen A, B und C aufzubauen und ihn zu erweitern und somit seine gesamte Argumentation auf der Grundlage der Achtung der EU-Charta, insbesondere von Artikel 1, auszulegen. In diesem Sinne wären psychologische Persönlichkeitstests zur Bewertung der sexuellen Ausrichtung ausgeschlossen, da das vom EuGH in A, B und C ausgesprochene Verbot wohl nicht auf körperliche Untersuchungen beschränkt ist, sondern sich allgemeiner auf alle „Tests“ zur Feststellung der Homosexualität erstreckt. Zweitens müsste der EuGH, sollte er dem Gutachten der AG folgen, sorgfältig auslegen, wie sichergestellt werden kann, dass sich die Gutachten von Psychologen wirklich auf eine Bewertung der allgemeinen Glaubwürdigkeit beschränken und nicht nur ein Schlupfloch darstellen, um den Weg für unzuverlässige psychologische Bewertungen der sexuellen Ausrichtung zu ebnen.
Darüber hinaus sollte der Gerichtshof sicherstellen, dass solche Gutachten zur Glaubwürdigkeit nicht als „Lügendetektoren“ auf der Grundlage vorgefasster Annahmen verwendet werden – andernfalls könnten wir bei allen Asylanträgen durchaus auf Harry Potters Veritaserum zurückgreifen. Darüber hinaus müsste der EuGH erklären, wie eine echte Zustimmung eingeholt werden kann, da die Möglichkeit, Tests zu absolvieren, die nicht obligatorisch sind, aber als nützlich für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit angesehen werden, Druck auf andere Antragsteller ausüben würde, die Tests zu absolvieren, wodurch die Gültigkeit der eingeholten Zustimmung untergraben würde. Sollte der EuGH der Verwendung projektiver Persönlichkeitstests bei SOGI-Asylanträgen zustimmen, würde dies die bisherigen Fortschritte in diesem Bereich zunichte machen – ein Weg, den der Gerichtshof hoffentlich nicht beschreiten wird. Der EuGH hat in den Urteilen A, B und C bereits einige der entscheidenden Elemente für die Entscheidung des vorliegenden Falles dargelegt; nun geht es darum, diese Elemente zu verfestigen, um keinen Raum für Unklarheiten oder für die Verwendung von Beweismitteln zu lassen, die die Würde und die Grundrechte der Asylbewerber verletzen.