Die Diagnose einer Hypersomnie – wiederkehrende Episoden exzessiver Tagesschläfrigkeit (EDS) oder verlängerter Nachtschlaf – erfordert eine schrittweise Beurteilung. Wir beschreiben einen komplexen Fall eines älteren Erwachsenen, bei dem mehrere potenzielle Ursachen für Hypersomnolenz vorlagen.
Anhaltende Tagesschläfrigkeit
Herr W., 63 Jahre alt, ist ein Veteran mit einer Anamnese, die auf schwere obstruktive Schlafapnoe (OSA), Schlaflosigkeit, Syndrom der unruhigen Beine, Bluthochdruck und schwere depressive Störungen hinweist. Er berichtete über ein seit langem bestehendes EDS, das zu funktionellen und sozialen Beeinträchtigungen führte. Das EDS von Herrn W. bestand trotz kontinuierlicher positiver Atemwegsdrucktherapie (CPAP) fort. Ein Download seiner CPAP-Compliance-Zusammenfassung ergab sowohl eine optimale CPAP-Adhärenz (>7-Stunden-Anwendung für 95 %) als auch eine Kontrolle der OSA (Apnoe-Hypopnoe-Index <5). Sein Wert auf der Epworth Sleepiness Scale (ESS) blieb bei 20 von 24. Ein anderer Arzt hatte Herrn W. zuvor Modafinil zur Behandlung seines EDS verschrieben, bei dem ein Zusammenhang mit der Schlafapnoe vermutet wurde. Zum Zeitpunkt der Untersuchung nahm Herr W. jeden Morgen 200 mg Modafinil ein, ohne dass seine Tagesschläfrigkeit nennenswert nachließ. Die Laborergebnisse zeigten normale Leberfunktionstests, Elektrolyte und Hormonwerte, und eine Urinuntersuchung war negativ. Herr W. sagte, er reibe sich ständig die Beine, um seine beidseitige Beinbewegung zu erleichtern. Er gab sowohl sensorische als auch motorische Komponenten an und berichtete von Erleichterung bei Bewegung und Abwesenheit von Empfindungen am Morgen.1 Gabapentin wurde zur Stabilisierung dieser Symptome verabreicht und auf eine therapeutische Dosis titriert.
Weitere Überlegungen veranlassten den behandelnden Arzt, Schlafentzug oder Schlaflosigkeit als mögliche Ursachen für Herrn W.s Tagesschläfrigkeit zu untersuchen. Herr W. berichtete auch über gelegentliche Schlaflosigkeitssymptome. Um die Ursache für die Tagesschläfrigkeit zu finden, wurde eine Aktigraphie am Handgelenk durchgeführt, die keine anhaltende Schlaflosigkeit oder Störungen des zirkadianen Rhythmus ergab.2 Ein Medikamentenabgleich ergab, dass Herr W. zwei Medikamente (Fluoxetin und Modafinil) einnahm, die ihn wach machten, aber da er sie morgens einnahm, war es unwahrscheinlich, dass sie seinen Schlaf beeinträchtigten. Bei der Überprüfung seiner Schlafgewohnheiten stellte sich heraus, dass Herr W. tagsüber nur selten ein Nickerchen machte und keine übermäßigen Mengen koffeinhaltiger Getränke zu sich nahm.
Die diagnostische Ungewissheit veranlasste den behandelnden Arzt, eine polysomnografische Schlafuntersuchung (PSG) mit Multiplem Schlaflatenztest (MSLT) anzuordnen, die eine mittlere Schlaflatenz von 4,1 Minuten ergab, wobei weder während der PSG noch beim Nickerchen am nächsten Tag REM-Phasen (Rapid Eye Movement) auftraten.3 Die PSG zeigte eine Schlaffragmentierung mit einer Schlafeffizienz von 90%. Die Ergebnisse deuteten auf eine Restschläfrigkeit hin, die auf eine OSA zurückzuführen war.
Als Nächstes verordnete der Arzt Dextroamphetamin in einer Dosierung von 25 mg/Tag, was den ESS-Wert von Herrn W. um 2 Punkte (18 von 24) senkte. Der Arzt ging davon aus, dass, wenn das Stimulans wirkte, die Diagnose eher den Kriterien für Restschläfrigkeit bei OSA als für idiopathische Hypersomnie (IH) entsprechen würde. Aufgrund mangelnder Wirksamkeit und unerwünschter Wirkungen wurde das Medikament abgesetzt.
Herr W. berichtete, dass er während seines Militärdienstes im Alter von 23 Jahren unter Schläfrigkeit litt. Er sagte auch, dass er sich nicht erfrischt fühlte, wenn er tagsüber ein Nickerchen machte.
Um die Hypersomnie zu behandeln, wurde ihm Natriumoxybat verschrieben, das nicht zugelassen war. Natriumoxybat war wirksam und wurde gut vertragen; es wurde langsam auf 9 g/Tag hochtitriert. Nachdem er Natriumoxybat 2 Monate lang eingenommen hatte, sank der ESS-Wert von Herrn W. auf 6. Derzeit berichtet er über keine funktionellen Beeinträchtigungen. Eine erneute Aktigraphie zeigte eine minimale Schlaffragmentierung und einen starken normalen zirkadianen Rhythmus.
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