MUKTUS-HYPERSEKRETION UND CHRONISCHE LUNGENERKRANKUNGEN
Die Hypersekretion von Schleim in die Atemwege trägt bei vielen Patienten mit schweren chronischen Lungenerkrankungen wie chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Asthma und Mukoviszidose wesentlich zur Morbidität und Mortalität bei.35 Übermäßiger Schleim in den Atemwegen kann den Luftstrom einschränken, und sein Vorhandensein ist ein besonderer Risikofaktor für COPD-Patienten, die anfällig für Brustinfektionen sind. COPD ist eine schwere chronische Entzündungskrankheit der Atemwege, die drei Erkrankungen umfasst, nämlich chronische Bronchitis (lang anhaltende Schleimhypersekretion in den Atemwegen), Erkrankung der kleinen Atemwege und Emphysem.36 Ihre Prävalenz und wirtschaftliche Belastung nehmen weltweit zu.37,38 Bei COPD haben Patienten mit chronischer Schleimhypersekretion ein deutlich erhöhtes Risiko für Krankenhausaufenthalte und Tod im Vergleich zu Patienten ohne ausgeprägte bronchitische Komponente.39,40 Die derzeitigen Behandlungen für COPD sind palliativ und können das Fortschreiten der Krankheit nicht aufhalten,41 und es gibt keine spezifische Behandlung für die Schleimhypersekretion.42 Da es für keinen Aspekt der Pathophysiologie der COPD eine wirksame Therapie gibt, ist die Entwicklung von Behandlungen für die Schleimhypersekretion gerechtfertigt. Die Fähigkeit, Schleim durch die Bewegung der Flimmerhärchen aus der Lunge zu entfernen, hängt von seiner Viskosität und Elastizität ab. Diese Eigenschaften werden durch den Gewichtsanteil der Mucin-Glykoproteine bestimmt, die der Schleim enthält.43 MUC5AC und MUC5B sind die wichtigsten Mucine sowohl in normalen als auch in pathologischen menschlichen Atemwegssekreten.44 Bei Patienten mit COPD sind die Konzentrationen der Mucine MUC5AC und MUC5B im Atemwegsschleim erhöht, obwohl proportional mehr MUC5B ausgeschieden wird.45 Mucine werden von Becherzellen im Epithel und seromukösen Drüsen in der Submukosa in die Atemwege ausgeschieden.43 Eine Möglichkeit zur Hemmung der Schleimsekretion besteht darin, die hemmende Wirkung der Clostridien-Neurotoxin-Endopeptidasen auf die Vesikelfusion zu nutzen, die mit Hilfe eines geeigneten Targeting-Liganden gezielt auf die Muzin-sezernierenden Zellen der Atemwege gerichtet werden.
Um zu untersuchen, ob eine zielgerichtete clostridiale Endopeptidase SNARE-Proteine in menschlichen Atemwegsepithelzellen spaltet und dadurch die Schleimsekretion hemmt, wurde aus einem rekombinanten Gen, das für die LHN-Domäne von BoNT/C und EGF kodiert, ein Fusionsprotein erzeugt, das als EGF-LHN/C bezeichnet wird, um EGF-Rezeptoren auf den Schleim sezernierenden Zellen anzusprechen.34 EGF wurde als Prototyp-Ligand für die Schaffung eines solchen Fusionsproteins ausgewählt, da EGF-Rezeptoren auf menschlichen Atemwegsepithelzellen46,47 vorhanden sind und im Epithel der Atemwege von Patienten mit Asthma und COPD48 sowie von Rauchern hochreguliert werden.49 Das rekombinante Fusionsprotein EGF-LHN/C spaltete das relevante SNARE-Protein Syntaxin in einer humanen mukoepidermoidalen metastasierenden Zelllinie, H292-Zellen, in vitro in einer konzentrationsabhängigen Weise.34 Die Vorbehandlung von H292-Zellen mit EGF-LHN/C hemmt die stimulierte Freisetzung von Muzin als Reaktion auf einen kombinierten Stimulus von EGF und Tumornekrosefaktor-α (TNFα) in einer konzentrationsabhängigen Weise mit einer IC50 von etwa 0,4 nM (Abb. 28-1). Dies deckt sich sehr gut mit der zuvor berichteten hemmenden Wirkung von EGF-LHN/C auf die stimulierte Muzinfreisetzung aus einer anderen Epithelzelllinie der Atemwege, der humanen Typ-II-Alveolarzelllinie A549, als Reaktion auf denselben Stimulus.34 Bei beiden Zelltypen gab es keine nachweisbare Wirkung von EGF-LHN/C auf das Basalniveau der Muzinsekretion. Die Hemmung der Muzinsekretion durch EGF-LHN/C ist auf die gezielte Freisetzung seiner Endopeptidase-Aktivität durch den EGF-Rezeptor zurückzuführen und nicht das Ergebnis einer Zellzytotoxizität oder eines Rezeptorantagonismus oder einer Downregulation.34 EGF-LHN/C ist auch in der Lage, die stimulierte Muzinfreisetzung aus A549-Zellen als Reaktion auf einen stimulierenden Cocktail von Zytokinen zu hemmen, eine Kombination aus 1 ng/mL Interferon (IFN)-γ, TNFα und Interleukin (IL)-1β, genannt Cytomix (Abb. 28-2). Somit ist die Wirkung von EGF-LHN/C auf die stimulierte Muzinfreisetzung aus respiratorischen Epithelzellen unabhängig von der genauen Art des verwendeten Stimulus. Die histologische Untersuchung zeigt, dass das Muzin im Inneren der behandelten Zellen zurückgehalten wird (Abb. 28-3). Kontrollzellen enthalten gefärbtes intrazelluläres Muzin, während stimulierte Zellen eine deutlich reduzierte Färbung aufweisen, was auf eine Muzinsekretion hinweist. Stimulierte Zellen, die mit EGF-LHN/C vorbehandelt wurden, zeigen eine erhaltene intrazelluläre Färbung, was auf eine Hemmung der Sekretion durch EGF-LHN/C hinweist. Um die Reaktion der Zellen auf diese intrazelluläre Muzinretention zu beurteilen, wurde die Wirkung der EGF-LHN/C-Vorbehandlung auf die MUC5AC-mRNA-Spiegel als Indikator für die Muzinsynthese gemessen. Die EGF-LHN/C-Vorbehandlung ist mit einer konzentrationsabhängigen Hemmung der EGF-TNFα-induzierten MUC5AC-mRNA-Expression verbunden, mit einem IC50-Wert von ∼0,1 nM (Abb. 28-4). Wie bei der Hemmung der stimulierten Muzinfreisetzung aus den Zellen ist diese Wirkung von EGF-LHN/C auf die gezielte Freisetzung seiner Endopeptidaseaktivität durch den EGF-Rezeptor zurückzuführen, da weder ein LHN/C, dem ein EGF-Ligand fehlt, um es auf den EGF-Rezeptor auszurichten, noch eine mutierte Form des Fusionsproteins, bei der die Endopeptidase-Domäne durch eine Veränderung von drei Resten im katalytischen Bereich inaktiviert wurde (EGF-TE-LHN/C), die MUC5AC-mRNA-Expression hemmen. Dieser Effekt von EGF-LHN/C auf die MUC5AC-mRNA-Expression deutet auf die Existenz eines möglichen negativen Rückkopplungsmechanismus zwischen Muzinfreisetzung und Muzinsynthese in respiratorischen Epithelzellen hin, und auch darauf, dass die Genexpression als Reaktion auf die Hemmung der Sekretion durch eine rekombinante clostridiale Endopeptidase herunterreguliert wird.
Rekombinante clostridiale Endopeptidase-Fusionsproteine, die die Schleimsekretion hemmen können, wie EGF-LHN/C, haben das Potenzial, als therapeutische Proteine für die Behandlung von COPD, chronischer Bronchitis, zystischer Fibrose und anderen chronischen Atemwegserkrankungen mit übermäßiger Schleimproduktion entwickelt zu werden. Die Langlebigkeit der Aktivität des Proteins würde bedeuten, dass das Produkt nur selten inhaliert werden müsste, was es für die Behandlung chronischer Atemwegserkrankungen dieser Art gut geeignet macht.